Ich habe keine Angst vor einer Schweiz, in der auch Menschen aus anderen Ländern leben, so lange sie sich an gewisse Regeln halten und ihre Mitmenschen respektieren. Ich habe aber Angst vor einer Schweiz, in der Möchtegerndiktatoren und Hassprediger mit populistischen und undifferenzierten Ansichten das Volk aufhetzen. Ich möchte mich in aller Deutlichkeit von einer Schweiz distanzieren, in der eine intolerante und menschenverachtende Initiative wie diejenige für das Minarettverbot, die im November 2009 angenommen wurde, und die jeglichen Respekt vor den Menschenrechten vermissen lässt, auch nur schon den Hauch einer Chance hat. Einstein soll gesagt haben, man solle alles so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher. Populismus ist, wenn man die Dinge einfacher macht, als sie sind. Dummheit ist, wenn man andere Leute für sich denken lässt. Mangelndes oder doch wenigstens höchst unreifes Demokratieverständnis ist, wenn man in einer Abstimmung für etwas stimmt, aber auf etwas ganz Anderes zielt, oder anders gesagt, wenn man den Sack schlägt und den Esel meint. Das hat mit direkter Demokratie nichts, aber auch gar nichts zu tun, denn sonst könnte man sich die Ausformulierung eines Initiativtextes ersparen und nur einfach fragen: "Gegen wen sind Sie denn heute?"
Politik ist leider weitgehend von Vorurteilen getrieben. Ein bekannter Politiker hat in einem Interview einmal gesagt, wenn er von etwas sechzig Prozent überzeugt sei, vertrete er es zu hundert Prozent. Mir wäre es lieber, wenn Politikerinnen und Politiker von sich sagen würden, dass sie sich selbst dann mit Andersdenkenden austauschen möchten, wenn sie von etwas hundert Prozent überzeugt seien, weil sie einen wichtigen Aspekt übersehen haben und Opfer ihrer Vorurteile sein könnten. Die Suche nach der bestmöglichen Lösung ist der Sinn der Konkordanz. Das geht aber nur, wenn Politikerinnen und Politiker erstens ehrlich versuchen, die Interessen des ganzen Landes und nicht nur ihrer Lobby zu vertreten, und wenn sie zweitens Respekt vor anderen Meinungen haben und Andersdenkende nicht einfach als dumm oder böse betrachten. Davon ist die Politik in der Schweiz noch weit entfernt, und die Minarettinitiative hat uns diesem Ziel auch nicht näher gebracht.